Braunes Langohr rettet Weihnachtsbaum
Draußen ist es fast dunkel und die Kinder warten aufgeregt auf das Christkind. Die Fenster im Dorf sind festlich geschmückt und in den Öfen brutzelt das Abendessen. Bald läuten die Kirchenglocken und ruft alle zum Weihnachtsgottesdienst herbei. Die holzgeschnitzten Bänke sind kurz darauf voll besetzt. Und in den Seitenflügeln drängeln sich große und kleine Gottesdienstbesucher, die keinen Sitzplatz mehr gefunden haben. Viele Wachslichter an der großen Tanne im Altarraum tauchen alles in ein warmes, gemütliches Licht.
Als der Pfarrer die Weihnachtsgeschichte erzählt, flattert plötzlich etwas Lautloses um die Spitze der geschmückten Tanne herum. Immer heftiger schlagen die Flügel, die nur als dunkler Schatten zu erkennen sind. Doch keiner in der Kirche schaut so weit nach oben, um das zu bemerken. Alle lauschen den Worten des Pfarrers oder hängen ihren weihnachtlichen Gedanken nach.
Es hilft nichts, das Braune Langohr muss direkt vor dem Gesicht des Pfarrers vorbeifliegen, wenn es die Aufmerksamkeit auf sich lenken will. Im Ruderflug segelt es nach unten. Es bewegt dabei die Flügel nach unten und vorwärts, zurück und wieder aufwärts. Dann steht es für einen kurzen Augenblick im Rüttelflug in der Luft, direkt vor dem Mikrophon – wie ein Hubschrauber – und fliegt wieder hoch zur Tannenspitze.
Für einen Moment verstummt der Pfarrer, dann schmunzelt er: „Liebe Gemeinde, es ist zwar ungewöhnlich, aber ich glaube, wir müssen noch einen Gast in diesem Weihnachtsgottesdienst begrüßen. Wenn ich mich nicht irre, war das gerade eine Fledermaus vor meinem Gesicht. Ich glaube es war ein Braunes Langohr.“
Er blickt nach oben zur Tannenspitze und weicht erschrocken einen Schritt zurück. – „Der Baum brennt! Bitte keine Aufregung, bleiben Sie alle auf Ihren Plätzen. Ich hole schnell eine Leiter und einen Eimer mit Wasser. Das haben wir gleich.“
Der Pfarrer eilt mit zwei Helfern in den Nebenraum. Währenddessen flattert die Fledermaus zwischen Tanne und Altar hin und her, als wollte sie damit alle Gottesdienstbesucher auf die Flammen aufmerksam machen.
Glücklicherweise ist das Feuer bald gelöscht. Der Gottesdienst endet mit dem Segen für die Gemeinde und für das neue fliegende Gemeindeglied, das solange im Winterquartier in der Kirche bleiben darf, bis die Tanne Mitte Januar hinausgetragen wird. Und bis dahin, verspricht der Pfarrer, hat er für das Braune Langohr ein warmes Quartier, einen Fledermauskasten aus Holz und Dachpappe, gebaut. Selbstverständlich soll das Zuhause nahe der Dorfkirche hängen.
Und noch etwas Ungewöhnliches geschieht an diesem Abend: Die Kinder fragen auf dem Heimweg nicht, ob das Christkind schon die Geschenke gebracht hat und wie viele es wohl sein mögen. Alles dreht sich nur um die Fledermaus
– wie ein Braunes Langohr aussieht,
– was es frisst,
– wo eine Fledermaus schläft,
– wie ein Fledermaushaus gebaut wird,
– wo der Pfarrer es wohl aufhängt,
– wie man zum Fledermausfreund werden kann und
– warum die Chinesen die Fledermaus mit „fu“ (Glück) bezeichnen.
Und so weiter – und so weiter...
Geschichten von Elke Brinkmann-Pytlik
Mit freundlicher Genehmigung der Autorin hier veröffentlicht.
Foto: Elke Brinkmann-Pytlik